Donnerstag, 27. Juni 2019

Bitte sofort zur Station kommen. Ein Patient hat sich beschwert!


Ein Erlebnis aus 40 Jahren Diätassistentin

Beschwerden von Patienten über das Essen, das gibt es immer wieder. Es gibt diejenigen, die ein Krankenhaus mit einem Hotel verwechseln, die nicht verstehen, dass am Wochenende nur die halbe Belegschaft in der Küche ist und deshalb ein Eintopf ein gutes Essen ist um dann auch schon das Sonntagsessen vorbereiten zu können.

Wenn ich mir die Speisepläne so anschaue: Es gibt und gab schon viel Auswahl, das hat man zuhause nicht auf dem Tisch.

Eine Beschwerde ist mir aber wirklich im Kopf geblieben, da ich damals wirklich Angst vor einer Abmahnung hatte.

Im Vorfeld muss ich erklären, dass zum Krankenhaus eine Gärtnerei gehörte und wenn Gemüse reif war, dann in Schwemmen.
Die Beschwerde fiel in die Möhrenzeit. Es gab Möhrensuppe, Möhrensalat, Möhreneintopf, Möhrenpuffer und natürlich wurde ganz viel eingefroren.
Aber gefühlt standen täglich Möhren auf dem Speiseplan.
Und da kam der Anruf der Station. Es gäbe eine Beschwerde übers Essen.  Es sollte mal lieber jemand kommen, sonst würde der Patient sich an der Verwaltung wenden.
In dieser Zeit war meist ich diejenige, die los musste. Die Küchenleitung hatte komischerweise in solchen Momenten nie Zeit und bisher war ich mit meinem Beschwerdemanagement auch erfolgreich. Bisher (aber danach auch noch)!
Ich ins Zimmer , vor mir saß ein Mann mit hochrotem Kopf und fragte mich, was ich auf dem Teller sehen würde. Natürlich waren das Möhren.
Dann prasselte ein Donnerwetter auf mich runter, was ich(!) mir einbilden würde solche einen Fraß (an das Wort erinnere ich mich genau) zu servieren. Ob die Patienten alle schlecht sehen könnten? Aus welchem Grund es sonst ständig Möhren gab?
Im ersten Moment habe ich wirklich an Flucht gedacht, weil ich so viel Wut noch nie abbekommen habe.
Aber dann bin ich geplatzt. Ich habe wirklich die Kontrolle verloren und habe zurück geschimpft. 
Ich war einem Patienten laut gegenüber, was mir nie wieder passiert ist. Ich habe ihm alles erklärt, das mit der Gärtnerei, dass Möhren gerade Saison hätten und wir dieses Gemüse verarbeiten müssten. Vielleicht könnt Ihr Euch vorstellen, was da aus einem raus sprudelt, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt.
Dann kam das große Schweigen. Und da kam die Sorge, was jetzt wohl passieren würde. Abmahnung?
Dieser Patient hat mich eine Weile nur angeschaut und dann kam die Frage (sinngemäß):“ Und was können Sie jetzt tun, dass ich keine Möhren mehr bekomme?“
Ich habe ihm unsere Essenskarten gezeigt, die in seinem Beisein ausgefüllt mit „keine Möhren!“.
Der Patient war noch öfter bei uns im Haus und immer wenn er kam bin ich direkt zu ihm oder habe angerufen und habe dann die Karten fertig gemacht.
Ab dem Zeitpunkt lief es. Wir hatten einen wirklich guten Draht, wir haben über unseren Streit geredet und später darüber gelacht. Ein Patient, der mir genau wie unser Krebspatient, in Erinnerung geblieben ist. 
Er hat mir gezeigt, dass ein Gewitter die Luft reinigen kann bzw. dass Reden hilft.

Bild von O12 auf Pixabay

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