Sonntag, 26. Juni 2022

Wenn ein Kind weint

Ich habe da einen sehr pfiffigen Jungen in der Beratung bei dem der Kinderarzt befürchtet, dass er in die Übergewichtsschiene abdriftet.
Laut Perzentile ist es auch so, aber ich schaue mir die Kinder im Vorfeld gerne mal an ob sich das nicht mit dem "Rettungsring" erklären lässt, den viele Kinder im Vorfeld eines Wachstumsschubs entwickeln. 

Ich meine damit das Bäuchlein, das alle Kinder entwickeln.
Dieser Junge ist etwas stabiler gebaut, was nicht per se negativ sein muss. Er kam mit seiner Mutter und in der Folgeberatung dann auch noch mit Oma und Schwester.

In der ersten Beratung haben wir gemeinsam (die Mutter habe ich bewusst aus diesem Gespräch so weit es ging raus gelassen) besprochen, was er gerne mag, was er so gar nicht mag, was er am Tag isst, wie es mit Bewegung aussieht und noch so einige Dinge mehr.

Er war total interessiert, kannte sich mit der Anatomie total gut aus weil ihn das Thema interessiert. Wir haben ein Ziel bis zum nächsten Termin besprochen, ein ziel, das er sich selbst gesetzt hat und auch formuliert hat. Letztendlich waren es drei Ziele, ich habe versucht ihn auf ein ziel zurück zu holen, aber es kam der Satz:"Ich schaffe das."
Nun gut.
Beim Folgetermin kam ein komplett niedergeschlagener Junge zu mir wie oben beschrieben mit Mutter, Schwester und Oma. Er hatte auch Tränen in den Augen. Warum?
Er hatte seine Ziele nicht erreicht. Er war von sich selbst enttäuscht und überspielte das mit Bockigkeit.

Ich habe versucht den Druck für ihn rauszunehmen. Ich habe ihm erklärt, dass es durchaus normal ist nicht sofort alles zu schaffen. Letztendlich habe ich ihn gefragt, was er sich wünscht.
Klare Ansage: "Ich möchte, dass ich mal machen kann was ich möchte und mir keiner sagt,dass ist falsch."
Klares Bestreben nach Autonomie, selbst entscheiden können und dürfen.
Wir haben abgesprochen, dass die Kinder in der kommenden Woche entscheiden dürfen, was sie essen möchten, aber dass sie auch Rücksprache halten müssen, was für die Mutter und die Oma machbar ist.

Dann war  da noch Ketchup und Mayo zu jeder Mahlzeit ein Thema. Die Mutter und Oma fanden die Mengen zu viel. Da habe ich mit meinem jungen Patienten eine Strategie besprochen, nämlich dass er diese "Köstlichkeiten" ein Mal auf den Teller portionieren kann und dann kommt es wieder in den Kühlschrank.
In der Familie gibt es drei Mahlzeiten. Daran sollte sich auch gehalten werden. Das hat sich so nebenbei entwickelt. Vorsichtshalber habe ich nachgefragt ob das alles machbar sei. Ich wollte nicht schon wieder ein Negativerlebnis. Alle Parteien waren damit einverstanden.

Vor ein paar Tagen hat mich die Mutter angerufen und erzählt was so alles gelaufen ist.
Mein Klient kommt mit den drei Mahlzeiten aus. Er fragt zwischendurch auch nicht nach Snacks, es sei denn die Familie ist unterwegs und alle essen z.B. ein Eis.
Ketchup und Mayo sind nur noch kurzfristig auf dem Tisch, genau wie besprochen.
Die Mutter hatte selbst erkannt, dass es wirklich um Autonomie, um Selbst-Tun geht. Sie bindet ihren Sohn mit ein. Er braucht auch kleine Schritte. Sonst folgt die Enttäuschung.
Kleine Schritte sind weitaus effektiver, weil sich die Umstellungen in Gewohnheiten wandeln.
Ich bin mit dem, was diese Familie, was dieser Junge erreicht hat total zufrieden. Er wird seinen Weg gehen. Er wird wachsen sowohl körperlich als auch mental.


 


Bild von for donat boosty.to/victoria_art_music auf Pixabay

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